Während die EU-Kommission Vereinfachungen und Bürokratieabbau ankündigte, riefen die Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament dazu auf, den Green Deal im Zuge dieser Diskussion vollständig abzuschaffen. Nun hat die EU-Kommission diesem Druck nachgegeben. Statt der sprunghaften und wahllosen Deregulierungswelle, wie sie US-Präsident Trump vorantreibt, Folge zu leisten, braucht es in Europa weiterhin eine stabile, verlässliche und wertebasierte Wirtschaftspolitik. Dazu gehört die EU-Lieferkettenrichtlinie. Sie schützt weltweit Menschenrechte, die Umwelt und das Klima.
Die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verpflichtet Großunternehmen, Menschenrechte und Umweltstandards zu respektieren, bei Verstößen sollen sie zur Verantwortung gezogen werden können. Deutschland kennt mit dem Lieferkettengesetz (LkSG) bereits Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Die CSDDD will die Regeln europaweit vereinheitlichen und damit für fairen Wettbewerb sorgen.
In der Pressekonferenz vom 8. November 2024 nach dem EU-Treffen zum New European Competitiveness Deal kündigte die Kommissionspräsidentin erstmals ein sogenanntes Omnibus-Gesetz zur Vereinfachung der Lieferkettenrichtlinie CSDDD, der Reportingrichtlinie CSRD und der Taxonomie-Verordnung an. Dabei betonte sie jedoch ausdrücklich: “Der Inhalt der Gesetze ist gut. Wir wollen ihn erhalten und wir werden ihn erhalten.“ Ziel des Omnibus sei vielmehr die Reduzierung redundanter und überlappender Berichtspunkte. “Unsere Aufgabe ist es, die bürokratische Last zu reduzieren, ohne den korrekten Inhalt des Gesetzes zu verändern, das wir alle wollen.“
Gleichzeitig versuchen die Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament die Diskussion um Bürokratieabbau zu nutzen, um den Green Deal vollständig abzuschaffen. Stimmen, die sich schon immer gegen die Lieferkettenrichtlinie gewehrt hatten, werden wieder laut und fordern eine Aussetzung oder gar Aufhebung der Richtlinie. Unter dem Eindruck der chaotischen Deregulierungswelle von US-Präsident Trump hat die EU-Kommission diesem Druck nachgegeben und im Zuge der sogenannten Omnibusgesetzgebung am 26. Februar eine massive Verwässerung der Lieferkettenrichtlinie präsentiert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bricht damit ihr Versprechen, nicht in die Substanz des Green Deals eingreifen zu wollen.
Und dies, obwohl die Lieferkettenrichtlinie ein Kompromiss aus einer langen demokratischen Diskussion ist, eine Vereinheitlichung von Regeln schafft und bürokratiearm ist: Sie enthält selber keine Berichtspflichten, betrifft nur sehr große Unternehmen, stützt sich auf seit Jahren geltende und von der Wirtschaft unterstützte internationale Prinzipien (UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen) und macht diese allgemein verbindlich. Damit schafft sie für Unternehmen Rechtssicherheit und stellt sicher, dass die EU eine verlässliche Handelspartnerin ist für Menschen auf der ganzen Welt.
Im Parlament haben sich die Fraktionen der Sozialdemokraten und der Grünen bereits eindeutig gegen eine Öffnung der Lieferkettenrichtlinie ausgesprochen. Die liberale RENEW-Fraktion hat die Lieferkettenrichtlinie in den Verhandlungen maßgeblich mitgeprägt und die Verabschiedung unterstützt, wie auch ein wesentlicher Teil der christdemokratischen EPP-Fraktion.
Anders als deutsche Wirtschaftsverbände behaupten, befürwortet eine Mehrheit deutscher Unternehmen die gesetzliche Verankerung von Sorgfaltspflichten. Nur sieben Prozent lehnen diese gemäß einer 2024 veröffentlichten Studie des Handelsblatt Research Institute im Auftrag der Creditreform ab. 81 Prozent der Befragten gaben an, die Sorgfaltspflichten bereits wahrzunehmen oder teilweise wahrzunehmen. Gut ein Drittel der Befragten erkennt darin auch betriebswirtschaftliche Chancen wie eine Steigerung der Unternehmensreputation, eine höhere Qualität der Vorprodukte und eine verbesserte Resilienz in der Lieferkette.
Laut einer Studie von IntegrityNext und dem Bundesverband Materialverband, Einkauf und Logistik (BME) sehen 69 Prozent der befragten Unternehmen, die vom LkSG erfasst sind, darin „einen entscheidenden Hebel für mehr Nachhaltigkeit“. 79 Prozent der Unternehmen sehen positive Effekte „zum Beispiel im Hinblick auf Transparenz“. Und 80 Prozent sehen sich durch das LkSG besser auf die CSDDD vorbereitet. Der BME zählt nach eigenen Angaben über 10.000 Mitglieder in allen Branchen und Unternehmensgrößen. Daher verwundert es kaum, dass auch zahlreiche Unternehmen in den letzten Wochen proaktiv mit der Forderung an die EU-Kommission herangetreten sind, die Lieferkettenrichtlinie vollständig zu erhalten und umzusetzen. Dazu gehören unter anderen 211 Investoren, elf Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, zu denen auch Nestle, Mars, Primark, Ferrero und Unilever zählen, sowie ein Verband von über 400 Führungskräften aus Nachhaltigkeitsabteilungen französischer Unternehmen. Sie alle heben die Praktikabilität, Angemessenheit und die wirtschaftlichen Potenziale der EU-Lieferkettenrichtlinie hervor und treten dem Vorwurf entgegen, die Lieferkettenrichtlinie und andere Nachhaltigkeitsrichtlinien würden ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit untergraben.
Kinderarbeit auf westafrikanischen Kakaoplantagen und beim Mica-Abbau in Indien; Hungerlöhne und Pestizidvergiftungen auf ecuadorianischen Bananenplantagen; Hunderte Todesopfer durch vermeidbare Brände und Einstürze asiatischer Textilfabriken sowie Dammbrüche von Rückhaltebecken brasilianischer Eisenerzminen; die Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen beim Bauxitabbau in Guinea: An all diesen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen waren oder sind auch europäische Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt.
Gegen solche Missstände richtet sich die Lieferkettenrichtlinie, indem sie sehr große Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro verpflichtet, Menschenrechte und Umweltbestimmungen in ihren Geschäften zu respektieren.
Verstöße werden mit Bußgeldern geahndet. Betroffene können künftig unter bestimmten Bedingungen auch vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten Schadensersatz fordern, wenn europäische Unternehmen durch Sorgfaltsverstöße Schäden kausal verursacht haben. Und schließlich verpflichtet die Lieferkettenrichtlinie Unternehmen, Klimapläne im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu veröffentlichen. Die Lieferkettenrichtlinie muss bis zum 26. Juli 2026 in das nationale Recht der Mitgliedstaaten überführt werden und ab dem 26. Juli 2027 zur Anwendung kommen.